NO MAN SHOULD EVER CRY // USA
T E X T
Robert_Sartori
F O T O S
Jan_Federer
2016 durch Amerika zu fahren ist vergleichbar mit schlechtem Sex, es lässt sich nur noch mit geschlossenen Augen und Gedanken an bessere Zeiten ertragen. Tägliche Konfrontation mit oberflächlichen Phrasen, Größenwahn, Klassenunterschieden und Patriotismus. Allgegenwärtige Paranoia, denn so ziemlich alles was Spaß macht kann gegen einen verwendet werden. Die Widersprüche, die diese vermeintlich modernste Demokratie durchziehen, sind absurd. Ständig ist von Grundrechten die Rede, von Krieg, von Grenzen von Terror, alles gekoppelt an einen dehnbaren Freiheitsbegriff. Eine Nation von Realitätsverweigerern. Eine Bevölkerung deren Hirnwindungen von Jesus und Dollarscheinen zum Vakuum penetriert wurden. Ein Land geleitet von Kapitalisten und Kriegstreibern hinter dem Deckmantel der Demokratie. Aber zum skaten is geil.
Es kostete viel Überwindung die Motivation für eine Amerikareise aufzubringen. Die politische Lage und keine Garantie für eine stressfreie Einreise ließen mich an der Sinnhaftigkeit des Unternehmens zweifeln. Irgendwie konnte ich Jan allerdings nicht im Stich lassen, seinen flehenden Blicke erscheinen mir schmerzhafter als diverse Leibesvisitationen. Immerhin hatten wir eine gratis Unterkunft, ein Auto und einen Spotguide, der eben dieses Auto über die komplette Dauer des Aufenthalts lenkte. Wenn ich über uns nachdenke, wären wir ohne diese Voraussetzungen womöglich schon am Flughafen gescheitert. Nachdem wir problemlos den Zoll in San Francisco passiert hatten, freuten wir uns wie kleine Kinder. In euphorischer Ekstase umarmten wir den bereits wartenden Tourguide, der uns ein großes Biervorkommen in seinem Kühlschrank garantierte. Dieser Kühlschrank wurde jeden Abend zu meinem besten Freund und jeden Morgen zu meinem schlimmsten Feind, aber aus Fehlern lernt man bekanntlich gar nichts. Bereits am nächsten Tag begann die „Mission“. Den typischen Skate Touristen Alltag, der nicht viel mehr beinhaltet als skaten, Bier, Sex (oder vielmehr Gerede über Sex, welches nach spätestens 3 Tagen zur höllischen Qual wird) kennt ja jeder zu Genüge. Deswegen werde ich die folgenden Seiten mit einigen Erlebnissen und Eindrücken füllen. Von uns erlebt, von mir interpretiert und bei völligem geistigen Bewusstsein niedergeschrieben.
„In Amerika ist der Überfluss, in dem manche Menschen ihr Glück suchen, völlig unerträglich.“
Instagram. Muss man wirklich jeden hirnrissigen Blödsinn, den man tagsüber treibt, der Masse preisgeben? Permanent? Sind Likes das Koks der armen Leute? Sind Hashtags die Reaktion auf eine schwierige Kindheit? Ich kann diese Fragen nicht beantworten, aber es nervt, denn gute Momente und wertvolle Erinnerungen werden ständig von Selbstpräsentationssüchtigen in die Absurdität entführt. Das ist leider beim Skaten keine Ausnahme, meiner Meinung nach ist die Session vorbei sobald das erste IPhone Fischaug zum Einsatz kommt.
Kapitalismus. Kapitalismus bringt eine völlig gestörte Wertevorstellung mit sich. In Amerika ist der Überfluss, in dem manche Menschen ihr Glück suchen, völlig unerträglich. Das ist sicherlich überall auf der Welt so, aber in einem solchen Ausmaß konnten wir es erst hier erleben. Autos, Fernseher, technischer Blödsinn, Häuser, Dinge die eigentlich keinen Zweck haben, aber teuer aussehen. Das Schlimmste ist, dass das politische System vor allem die Bedürfnisse der Oberschicht befriedigt. Manchmal kann man den Brechreiz nur noch mit Bier lindern.
Bekanntschaften. In kleinen Gruppen zu reisen, hat vor allem den Vorteil, dass man zwangsläufig neue Bekanntschaften schließt, aus denen durchaus Freundschaften entstehen können. Die unterschiedlichen Charaktere und deren Lebensgeschichten sind meistens eine Bereicherung. Mich faszinieren vor allem Persönlichkeiten, deren Verhalten und Lebenseinstellung ständig in Extremen ausarten. So hatten wir das Glück bei einem Ausflug nach Oakland Phil und Tone kennenzulernen, zwei Skateboarder und Joint-Kettenraucher, deren Konsumverhalten an zwei Kühe auf der Weide erinnert. Die permanente Intoxikation hat sie zu komplexen Lebewesen mit eigener Sprache und absurden Ritualen geformt. Jeder Spot Wechsel war eine unglaubliche Prozedur, verbunden mit diversen Biereinkäufen und bizarren Meinungsänderungen. Nachdem wir gefühlte Ewigkeiten damit verbrachten, sinnlos durch die Gegend zu fahren, schafften wir es tatsächlich noch zwei Spots zu skaten, bevor uns Phil in seine bescheidene Wohnung einlud. Leider bleibt dieser Abend aus technischen Gründen undokumentiert. Auch unser Spotguide und Gastgeber in Santa Cruz, namentlich Jesse ist eine Persönlichkeit, an die wir uns gewöhnen mussten. Seine Vorliebe für reiche Frauen und teure Autos nehmen einen Großteil seiner Energie in Anspruch. Die restliche Zeit verbringt er damit, hirnrissigen Blödsinn auf Instagram zu posten. Wir genossen jedenfalls eine unvergessliche Nacht in dem luxuriösen Haus seiner Freundin. Bei dieser Gelegenheit konnten wir auch feststellen, dass die amerikanische Oberschicht Fernseher liebt. Man konnte wirklich von jedem Winkel des Gebäudes aus problemlos fernsehen. Jeder Raum war mit multiplen Geräten in allen Größen und Formen ausgestattet. Jesse zeigte uns außer seinem Lebensstandard, der ausschließlich von dem Konto seiner Freundin finanziert wird, auch einige gute und legendäre Spots in der Umgebung von Santa Cruz.
Gastgeber. Unsere Unterkunft befand sich etwa eine Stunde außerhalb von San Francisco und stellte sich als komfortables Häuschen heraus. Bewohnt wird es von Johnny und seinem Vater, eine bizarre Erscheinung, an der die 60er definitiv ihre Spuren hinterlassen haben. Wahrlich ein Mann der weiß wie man das Leben genießt. Es passierte jedenfalls des Öfteren, dass wir des Nachts von unseren täglichen Ausflügen zurück kehrten und sein Auto mit geöffneten Türen, schräg geparkt in der Einfahrt, vorfanden. Neben Tripberichten und verrückten Geschichten, deren Wahrheitsgehalt in engem Zusammenhang mit seinem Alkoholpegel stand, unterhielt er uns auch mit Freestyle Poesie. Verlegenes Lachen und peinliche Stille waren die Konsequenz seiner geistigen Ergüsse, die er uns lallend und voller Inbrunst vortrug. Sein erwartungsvoller Blick nach den, seiner Meinung nach tiefgründigen und literarisch wertvollen Schaffungen, machte die Situation auch nicht wirklich besser. Dennoch war er ein unglaublich netter und großzügiger Gastgeber. Seine Verrücktheiten werden uns lang in Erinnerung bleiben, denn wer kann schon behaupten einen Menschen zu kennen, der seine Weihnachtsbeleuchtung auch 3 Monate nach Weihnachten Tag und Nacht brennen lässt, weil er zu faul ist EINEN!!! Stecker zu ziehen.
„Die permanente Intoxikation hat sie zu komplexen Lebewesen mit eigener Sprache und absurden Ritualen geformt.“
Fortbewegung. So wie Hitlers Autobahn, sind die amerikanischen öffentlichen Verkehrsmittel nur in der Theorie und Propaganda existent. Das hat zur Folge, dass Amerikaner einen großen Anteil ihrer Lebenszeit in ihren motorisierten Fortbewegungsmitteln verbringen müssen. Jegliche Alltagstätigkeit ist mit einem immensen Zeitaufwand verbunden. Sogar kleine Distanzen können zu mehrstündigen Torturen ausarten, denn die Rushhour kann nicht immer vermieden werden. Auch in Großstädten ( Ausnahme New York) gilt das Auto als unverzichtbar. Als Europäer findet man diese Umstände schon mehr als befremdlich, richtig lächerlich ist allerdings die Tatsache, dass 95% der amerikanischen Bevölkerung kein Problem damit zu haben scheint. Im Gegenteil. Das Auto gilt als Statussymbol, es ist die ultimative Möglichkeit Erfolg und Wohlstand zu präsentieren. Amerikanischer Traum ohne Auto? Freiheit ohne Atombombe? Nicht möglich.
Alcatraz. Nach 14 Tagen wurde uns klar, dass sich unser Aufenthalt dem Ende zuneigte und wir absolut nichts getan hatten außer Skateboard zu fahren und diverse Biere zu konsumieren. In einem Anfall von Kulturparanoia, überredete ich Jan, (der das ganze Vorhaben als reine Zeitverschwendung deklassierte) den wohl berüchtigsten Amihefn Alcatraz zu besichtigen. Die berüchtigsten Staatsfeinde wurden auf dieser kleinen Insel, von der amerikanischen Regierung ,zu einer lebensunwürdigen Existenz verdammt, um ein Exempel zu statuieren. Ein trostloser Ort, aber die geografische Lage ist sehr beeindruckend.